Samstag, 12. August 2006

Mord auf Raten.

Heimatdorf: Der Versuch einer Vergangenheitsbewältigung III

Ansichten eines Clowns, der auszog, Lebensfreude zu lernen und mit einem Diplom in Humanismus zurückkehrte.
Egal ob 20:30 Uhr oder 13:14 Uhr oder 7:41 Uhr: Die Straßen sind leergefegt, die wenigen Menschen, die stumm an einem vorübergehen, ähneln Zombies. Hinter den blinden Fenstern und stummen Mauern, hinter staubigen Gardinen und schönen Fassaden wird gemeuchelt und gemordet.
Kinder werden gefügig gemacht, die Kleinbürgerei erstickt jeden Anflug von Leben schon im Keim. Jedes Anderssein wird misstrauisch durch die Jalousien beobachtet, jeder Anflug von Lebensfreude wird tausendfach verteufelt.

Sie arbeiten von Montag bis Freitag und hocken am Samstag nachmittag unter ihrem getunten Golf 3. Sie bauen dicke Boxen ein und verzieren ihr Gefährt mit bunten Lichtern. Sie sammeln Ü-Ei-Figuren und streichen ihre Hauswände weiß und putzen regelmäßig den Jägerzaun, der ihre kleine Welt von der des Nachbarn trennt. Sie reden ihre Nachbarn mit Vornamen an und lästern hinter deren Rücken über sie; sie sind eine eingeschworene geschlossene Gesellschaft und verdammen und verteufeln alles, was anders ist: Schwule, Geschiedene, Farbige, Punks, Behinderte. Andere.
Sie vergewaltigen und morden, sie lügen und denunzieren, sie fressen die Seelen kleiner Kinder, auf dass diese sich im gleichen Trott unterordnen. Willenlose Menschen in ihrer autistischen Welt in der x-ten Generation. Kinder werden groß und sterben, weil die dicke Luft sie nicht atmen lässt. Kinder werden groß und sterben. Und wenn sie gestorben sind, lassen sie ihre Kinder wiederum sterben. Es endet immer wieder gleich.

Der letzte lebende Mensch sprüht am Bahndamm "Fucking hell!"
Jedes Graffiti wird mit penibler Ordentlichkeit entfernt, die Wände in sekundenschnelle geweißt. Jeder zertretene Gartenzaun, jedes umgeschlagene Verkehrsschild, jede ausgetretene Straßenlaterne wird als Symbol für die missratene Jugend gesehen. Und schon schnappen sie zu, die Fallen. Die Klauen derer, die mehr Anpassung fordern.
Verdammt noch mal, es geht nicht um Zerstörungswut. Es geht um Leben und Lebenszeichen. Es ist ein Bitte helft mir raus und kein Everything what is must be destroyed. Es ist der letzte Versuch zu atmen. Doch in Windeseile vergiftet das Dorf die freiheits- und wegsuchenden Gedanken mit seiner dicken, milchigen Luft.
Die einzige Möglichkeit: Golf 3 tunen, GEZ zahlen, Wände weißen, Jägerzäune lackieren, sich am Wochenende besaufen, bei Wenne oder in der Feuerwache abtanzen, Frauen ficken, Visionen töten, Techno hören, sterben.

Verdammt, bitte: Lasst sie am Leben. Lasst sie leben. Es geht hier um Menschenleben, die nicht nur ein einziges Dorf - nein! Fast alle Dörfer dieser Welt - zerstören. Bitte, lasst sie nicht sterben. Holt sie da raus.

Ich möchte, dass die Verantwortlichen an den Pranger gestellt werden. Wegen Verbrechen an der Menschlichkeit. Wegen Bruderverrat.

Und an die letzten lebenden Menschen: Geht auf die Straße und öffnet das Bier. Lacht kaputt, was Euch kaputt macht.
Lacht!
Tanzt auf der Straße und setzt Euch auf Mauern. Lacht! Legt Euch auf Wiesen und beobachtet den Himmel mit den Händen in den Taschen. Lacht! Brüllt Eure Lebensfreude und Eure Lebenswut heraus, bis die Lungen bluten. Lacht! Gebt Euren Fahrrädern Namen und seid Euch sicher: Jeder einzelne dieser Drahtesel ist geiler als alle befickten getunten Golf 3 dieser Welt. Lacht! Reißt Mauern ein, auf den Straßen und in den Köpfen. Lacht!
Lacht kaputt, was Euch kaputt macht.


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